Mittwoch, 30. November 2011

Um die Welt für umme


Eine kostenlose Weltreise. Michael Wigge, ein Journalist und Weltenbummler hat es gewagt und ist erfolgreich geworden. Er durchquerte die westliche Hemisphäre ohne einen Cent und schaffte bis in die Anatarktis.
Seine Reise kostete natürlich Geld, das er während der Reise verdient oder erbeten hat. Er schlug sich mit zahlreichen Jobs durch. Er war unter anderen Butler, Sonnenöleincremer, Hill Helper, Gesangsdouble,  Veranstalter der Kissenschlachten, kurz gesagt Mädchen für alles. Seine Betätigungen haben ihm ermöglicht das nötige Kleingeld für Transportmittel aufzutreiben, die ihn durch vier Kontinente und elf Länder brachten. Er litt öfter Hunger, war erschöpft und wollte ein paar Mal zu seiner Kreditkare greifen, aber es ging auch zum Glück ohne Geld. Die zuvorkommenden und freundlichen Menschen, die er auf seinem Wege getroffen hat, trugen ihn wie auf einer Welle durch seine Reisetage mit Geldhilfen, als auch Naturalien. Überall, wo er war, ließ er seine Geschichte hören. Das brachte ihm Bewunderung und Sympathie wildfremder Menschen ein. Seine Kreativität und Glaube an das Gute in Menschen ermöglichten ihm ein unvergessliches Abenteuer zu erleben, das er bestimmt seinen Enkelkindern erzählen wird. Seine Reise beweist, dass es überall gute Menschen gibt, die bereit sind einem zur Seite zu stehen, wenn es brenzlig wird. Das negative Menschenbild, das die Medien vermitteln, kann Michael Wigge nicht bestätigen. Ihm wurde bewusst, dass man auf Reisen Luxusgüter nicht vermisst und dass der Verzicht und das Prinzip des Gebens statt Nehmens viel befriedigender sind als purer Konsum.
Sein Buch ist unterhaltsam geschrieben, man vermisst aber manchmal die zweirangigen Details, die helfen würden, sich die Reise plastischer auszumalen. Seine Reisebeschreibungen sind sachlich gehalten, er zeichnet knapp die Gestalten der Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Der Autor spickt seinen Bericht mitunter mit Fakten über die besuchten Orte und erwähnt Anekdoten anderer Reisenden. Man hat aber den Eindruck, dass er oft an der Oberfläche bleibt und dass man mehr aus dem Stoff rausholen konnte. Immerhin ist es angenehme Lektüre, die am besten am warmen Kamin zu genießen ist. Inspirierend!

Michael Wigge/ Ohne Geld bis ans Ende der Welt. Eine Abenteurreise/ 2010

Montag, 28. November 2011

Prekär, vulgär, künstlerisch



 
Clint Lukas ist ein Mitglied der Surfpoeten, der ältesten Lesebühne der Hauptstadt. In seinem 17 Geschichten umfassenden Buchdebüt berichtet er aus dem abenteuerreichen Leben eines Überlebenskünstlers.
Der kompromisslose und streitsüchtige Held  ist ein Berliner Bohemien, der das Treiben seiner Stadt scharfsinnig beobachtet und es in atmosphärisch dichten Erzählungen festhält. Sein Werk lässt sich in Fragmenten lesen, ist aber auch eine Art Autobiographie. In schnörkelloser Sprache erzählt der Protagonist von seinem Leben als Wurstverkäufer, Filmproduzent und liebestrunkener Säufer. Mit beißendem Sarkasmus schildert er seinen Dienst im Hospizium, wo er die Patienten gezielt an den Rand des Wahnsinns treibt. Nicht besser steht es um die emanzipierten Frauen, mit denen er sich regelmäßig rauft und liebt und keine gewaltfreie gemeinsame Sprache findet. Die kleinen Missverständnisse in der U8 zum Beispiel  eskalieren zu unvergesslichen Dialogen, die provokanter nicht sein konnten.  „Das Leben ist halt eine Zicke“, behauptet der Autor und kippt sich einen hinter den Kragen. In einer der Geschichten diskutiert er feuchtfröhlich über seine große filmische Leidenschaft, in der anderen geht zugedröhnt in die Oper. Der Protagonist macht Filme und kann Filmleute trotzdem nicht ausstehen. Er erlebt Freiheit und verachtet pointierend die fremdbestimmten Spießbürger. Er erzählt ehrlich und vor allem witzig. So vielfältig sein Leben, so auch seine Stories. Sprachlich sind sie vorwiegend vulgär und derb, an manchen Stellen findet man allerdings ausgesuchte Intellektuellensprache. Es fehlt dem Debüt des 27-jährigen nicht an Lakonie, rasendem Tempo und Selbstironie, die sein Bändchen so lesenswert machen.
Für alle die unmittelbarer leben wollen, für Leute ohne Taktik und Plan. Für Künstler und alle die es werden wollen.

Clint Lukas/ Für die Liebe, für die Kunst. Stories ohne Kompromisse/ 2011

Mittwoch, 23. November 2011

Postapokalyptisches Gemetzel

„The book of Eli“ ist ein Film der Huges Brüder. Denzel Washington spielt darin einen Gottesboten, der durch aggressive Selbstverteidigung knapp dem Tod entgeht, um ein geheimnisvolles Buch in Sicherheit zu bringen. Die Handlung spielt sich in verwüsteten Vereinigten Staaten nach dem nuklearen „Großen Krieg“ ab.
Der Protagonist dient wohl dem Gott des Gemetzels: rabiate Kampfszenen, aggressive Übergriffe, aus dem Nichts auftauchende Werkezeuge des Todes, das alles spielt sich in seiner ruhigen Gegenwart, die an Spiritualität erinnert, aber keine ist. Die Bösewichte werden magisch von der Macht der letzten Bibel angezogen, die der Wanderer bei sich trägt. Sie versprechen sich, wie einst im Mittelalter, die Macht über die übrigebliebene Menschheit dank spiritueller Kraft auszuüben. Eine Verfolgungsjagd startet, die über demolierte Landstriche zu letzten menschlichen Behausungen führt.  Die Menschen darin sind rücksichlose Kannibale, die mit diversen Waffen gut eingedeckt sind. Das gibt Anlass zu vielen Explosionen und unglaublicher Wendung, die Hoffnung für die inzwischen gestohlene Bibel aufscheinen lässt.
Die Vermischung von Western und quasireligiöser Bibelstunde ist geschmacklos und absurd. Die frohe Botschaft wird in ein unerträgliches Netz aus Actionfilmklassikerbezügen eingepackt und den Zuschauermassen im Gewand eines Pseudolehrstücks serviert.Die Liebhaber der hirnlosen Gewaltszenen kommen sicherlich auf ihre Kosten.

The Book of Eli/ Regie: Albert Hughes, Allen Hughes/ 2010
Trailer von The Book of Eli

Dienstag, 22. November 2011

Gutmenschen sind unter uns

Will Smith spielt im Film „Sieben Leben“ einen Ingenieur, dessen Geheimnis zum Selbsmord führt, was der Zuschauer übrigens schon am Anfang des Filmes in einer Rückblende erfährt. Der Schauspieler tritt in einer für einen Actionfilmschauspieler ungewöhnlichen Rolle auf und überzeugt auf breiter Front.
Tim Thomas hat sich einer Fahrlässigkeit schuldig gemacht und sucht Sühne für seine Tat. Er wird zu einem Wohltäter, der sieben Leben von guten Menschen grundlegend verändern soll. Er wählt sorgfältig die Nutznießer seines Projektes. Einer von ihnen ist der blinde Ezra, der selbst angesichts einer Provokation seitens Tim sich als langsam zum Zorn erweist. Die andere Person ist eine herzkranke Frau (Rosario Dawson), die sich dem verwitweten Hauptprotagonisten langsam und vorsichtig nähert, um mit ihm eine leider kurzdauernde Liebesbeziehung anzufangen. Von dieser Romanze lebt weitgehend der Film, der zwar durch die Anfangsszene vorhersehbar ist, aber durch ergreifende Geschichte eines inspirierten Gutmenschen begeistern kann. Will Smith hat sich trotz seines aufgesetzten Dackelblickes des Weltschmerzgejagten in Tim gut eingefühlt und überzeugt auch in dieser ihm nicht auf den Leib geschriebener Rolle. Einige unglaubwürdige Geschehnisse unterminieren die Glaubwürdigkeit mancher Szenen, aber der Film bleibt ein großes Gefühlskino, der einen aufwühlt und zu Tränen rührt. Die Musik ist diskret und untermalt Schlüsselsequenzen treffend und nicht aufdringlich. Am Ende fehlt die Stellung zur Organspende, die einem aber durch andere aufgeworfene Fragen entschädigt wird.
Ein emotionales Drama, das den Zuschauer lange nicht loslässt und moralische Fragen provoziert. Eine bewundernswerte Performance von Will Smith, der beweist, dass er nicht nur für eine Rolle geschaffen ist.

Sieben Leben/ Regie: Gabriele Muccino/ 2009

Montag, 21. November 2011

Verträumt, naiv, autistisch

Der Film „Adam“ ist eine berührende Inszenierung einer Liebesbeziehung  besonderer Art zwischen Adam (Hugh Dancy), einem Spielzeugtechniker und Beth (Rose Byrne), einer aufstrebenden Kinderbuchschriftstellerin. Auf eine nicht pathologisierende Weise zeigt der Regisseur die Unfähigkeit des Titelprotagonisten zur Empathie und zeichnet einfühlsam sein Anderssein. Der Film ist eine mit Liebe erzählte Geschichte eines Außenseiters, dessen Eigenart sympathisch und anziehend wirkt.
Die Handlung fängt mit einem Bezug zu Kleinem Prinz an, was den Film von Anfang an liebenswert macht. Wie dieser Junge vom fremden Planeten mutet eben Adam an. Er lebt gerne in seiner Innenwelt und beobachtet regelmäßig den nächtlichen Sternenhimmel. Adam leidet unter Asperger Syndrom, einer leichten Form von Autismus. Diese unangenehme Tatsache enthüllt er Beth, um ihr seine fehlende soziale Kompetenz zu erklären. Die junge Frau fühlt sich zu dem Sonderling magisch angezogen und die beiden fangen eine Beziehung an, die von großer Zärtlichkeit und Zerbrechlichkeit charakterisiert ist. Beth glaubt an die Fähigkeit Adams durch Anstrengung „normaler“ zu werden und gesellschaftliche Konventionen zu beherrschen. Doch ihre Beziehung muss eine Feuerprobe durchstehen. Beth macht sich einer geringfügigen Lüge schuldig und gefährdet das schon schwache Band, das die beiden verbindet.
Der Film zeigt einen zwar in der Realität verankerten Autisten, der aber mit seiner Unangepasstheit kämpfen muss. Seine Rolle meistert Hugh Dancy perfekt und zeigt dem Zuschauer, wie befremdlich das Vermeiden des Augenkontaktes sein kann. Die Rolle von Beth verblasst ein wenig angesichts der Performance von Dancy, die eigentlich den Hauptwert des Filmes ausmacht. Man konnte aus der Geschichte auf jeden Fall mehr Tiefgang rausholen. Das Ende ist nicht so kitschig, wie die musikalische Untermalung sich zuweilen gestaltet, sondern schön und in seiner Einfachheit auch tragisch. In manchen Sachen wird Adam eben immer ein Kind bleiben.
Ein  unkonventionelles Porträt eines Autisten, der einen einnimmt und zutiefst berührt.

Adam/ Regie: Max Mayer/ 2009

Sonntag, 20. November 2011

Intensivpflege von innen


Alle Arztserienliebhaber aufhorchen! Das Buch von Karin Grunwald wirft einen ernüchternden Blick hinter die Kulissen des Gesundheitsbetriebes und bleibt dabei lachlustig.
 Der Alltag auf der Intensivstation hat nichts mit der kolorierten Fiktion der Krankenhausserie zu tun. Da geht es knallhart zu. Unbarmherziger Schichtdienst, aufgeblasene Chefärzte, verzweifelte Patienten, Multiorganversagen, Sepsis- das sind nur wenige der Stichworte, die das Berufsprofil  und Arbeitsumstände einer Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege umreißen. Der Leser erfährt, dass Intensivpflege eigentlich Akkordarbeit ist und dass „elastisches Gewissen“ durchaus Vorteile bringen kann. Manchmal ist die Arbeit purer Horror, manchmal ist die Dankbarkeit der Patienten wohltuend und rührend. Grunwald schildert schonungslos das kränkelnde Gesundheitssystem, in dem sie nur dank einer ordentlichen Portion schwarzen Humors zurechtkommt und den Mut nicht verliert. Sie lässt keine bestürzenden Einzelheiten weg und schildert drastische Details der täglichen Pflege, die sehr unappetitlich sein können. Sie zeichnet die Realität ihres Arbeitstages, die nichts mit der Heimeligkeit zu tun hat. Der Tod und Zerfall lauern überall und am Pflegepersonal liegt es den Kampf gegen die Zeit zu gewinnen. Sie erzählt fesselnd und intelligent. Satirisch legt sie die Missstände des Systems bloß. Ihr Buch wird vielleicht den Berufseinstieg manch einer angehenden Krankenschwester verhindern, bei den anderen wird es nur ungläubiges Kopfschütteln, Schock und unterdrücktes Lachen hervorrufen.
Eine erstklassige Schilderung einer Insiderin, die mit saftigen Formulierungen nicht spart. Eine Dekonstruktion des Traumberufes „Krankenschwester“.

Katrin Grunwald/ Schwester! Mein Leben mit der Intensivstation/ Rowohlt Verlag/ 2011/ 8,99 

Samstag, 19. November 2011

Dinge plaudern aus dem Nähkästchen

Den vermessenen Anspruch seines Büchleins formuliert der Author so: „Ich hoffe zumindest, das Rätsel der Dinge neu zu formulieren.“ Er irrt sich auf der ganzen Linie.
Seine Texte reflektieren die unscheinbarsten und ahistorischen Gegenstände, wie zum Beispiel Bett, Tisch, Schüssel. Es sind fünfzig kurze Essays, die das Wesen  der Dinge im Plauderton erschließen wollen. Es fehlen im Buch nicht die Erfindungen der modernen Zeit, wie zum Beispiel das Handy, „Ding der schlimmsten Art“. Man fragt sich, was derartige Gegenstände bei der phänomenologischen Analyse zu suchen haben, doch der Autor betrachtet sie kulturkritisch und gewährt ihnen einen Platz neben Reflektionen über Gefriertruhe, Teekanne und Gabel. Unter seine Meditationen ist manch eine witzige Bemerkung gesät, die für einige überflüssige Längen entschädigt. Droit stellt fest, dass die Demarkationslinie zwischen Dingen und Menschen in Gegenständen wie zum Beispiel Prothese verschwimmt. Er schreibt pointenreich über die handfeste Funktionalität der Dinge im abstrakten Sinne (Wasserwaagen für moralische Handlungen ) und phantasiert über das Speichern des gesamten Universum auf einer CD. Der Autor hat mit seinem schmalen Bändchen einen großen Erfolg in Frankreich gefeiert, weil er sich in die Tradition der großen Philosophen einreihen wollte, doch er schafft das in Deutschland doch nicht. Sein undiszipliniertes, erzählendes  „Ich“ ist aufdringlich und berichtet von seinen uninteressanten Vorlieben. 
Roger-Pol Droit hat mal  zugegeben intime Tagebücher zu hassen, doch nach Fertigstellung seines Buches sollte ihm bewusst werden, dass es schwierig ist über die Dinge zu sprechen, ohne von sich selbst etwas preiszugeben.
Die folgende knappe Erkenntis des Buches erspart dem Leser das überflüssige sich über zweihundert Seiten ziehende Geschwätz des Autors: „An ihnen ist es, die Dinge zu lieben wie sich selbst“. Erfinden Sie die Dinge täglich neu. Aber selbst - ohne derartige Bücher.

Roger-Pol Droit/ Was Sachen mit uns machen. Philosophische Erfahrungen mit Alltagsdingen/ Heyne Verlag/ 2006/ 7,95

Freitag, 18. November 2011

Die Wahrheit über Fiktion


Der stämmige Charaktermime aus dem Ruhrgebiet Arnim Rohde hat einen Erfahrungsbericht unter dem Titel „Größenwahn und Lampenfieber“ verfasst. Untertitelt hat er ihn mit dem Satz: „Die Wahrheit über Schauspieler“, was eine Biographie, so wie einen Leitfaden für Schauspieler erwarten lässt. Sein Buch ist beides.
Dem großen  Anspruch die ganze Wahrheit über Schauspieler zu sein, wird dieses Buch nicht gerecht. Es zeigt aber die wahre Geschichte von Armin Rohde, den Film- und Theaterschauspieler. Er fängt in anekdotenreich und unterhaltsam erzählten Geschichten seine Laufbahn ein und leitet den Leser über die Höhen und Tiefen seines faszinierenden Berufes.
Er studierte an der Folkwang-Schauspielschule in Essen und wurde später selbst Schauspielpädagoge, der sein angesammeltes Wissen an den Nachwuchs weiterreichte. In den drei Jahrzehnten seiner Laufbahn hat er viele Kniffe und Tricks gelernt, die er gerne auch in seinem Buch verrät. Manches verschweigt er geschickt, um keinen zu beleidigen, er spart aber mit Lob nicht, wenn es angebracht ist.
Sein Weg vom Arbeitersohn zum Filmstar- zum einem der bekanntesten Schauspieler Deutschlands war nicht immer leicht, aber Durchsetzungsvermögen und spürbare Liebe zum Beruf haben ihm geholfen, sein hehres Ziel zu erreichen.
Ein origineller Blick hinter die Kulissen des Schauspielerberufs. Für alle, die schon immer das Triebwerk des Theaters und Motivationen der Schauspieler verstehen wollten.

Armin Rohde/ Größenwahn und Lampenfieber. Die Wahrheit über Schauspieler/Rowohlt Verlag 2009/ 12€

Mittwoch, 16. November 2011

Feminismus ausleben


Die Autorinnen von „Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht“ vertreten einen  "jungen" und "coolen" Feminismus. Sie machen für einen neuen Feminismus stark, nicht den aus den 70er Jahren, sondern für einen poppigen, der massentauglich ist.
Das Buch von drei Autorinnen hat eine Debatte um den Generationenkonflikt zwischen den Feministinnen der alten Schule um Alice Schwarzer und den neuen „Alphamädchen“ ausgelöst. Die Autorinnen kritisieren den Umstand, dass der Feminismus auf die Person der Emmaredakteurin, Alice Schwarzer reduziert wird und dass sie als seine einzige Repräsentantin dargestellt wird. Sie verfehlen jedoch zu bemerken, dass das Runterbrechen des Feminismus auf einen Generationenkonflikt eine Versimplifizierung ist, die die Vielschichtigkeit der feministischen Bemühungen außer Acht lässt und der Realität nicht standhält.
Die Bloggerinnen in der maedchenmannschaft Meredith Haaf, Susanne Klinger und Barbara Streidl nehmen sich der Themen, wie Verhütung, Abtreibung, guter Sex, Muttermythen, Diktate der Schönheitsindustrie, und Diskrepanzen in der Bezahlung von Frauen und Männern an. Sie kritisieren den Individualismus, der verhindert, dass Frauen sich solidarisch zusammenschließen, um etwas gemeinsam zu unternehmen und Großes zu erreichen. Das Buch plädiert für einen gemeinsamen Kampf der Frauen und Männer für gerechtere Verhältnisse und behauptet, dass auch Personen männlichen Geschlechts von der Eigenständigkeit ihrer Partnerinnen profitieren können. Es ermuntert die Männer im Gleichbehandlungsgefecht mitzumischen, um selbstbewusstere und sozial besser gestellte Frauen zu begrüßen. Erst dann werden sie keine Fragen der Sorte: "Bin ich zu dick?" stellen.
An dem Buch nervt nur das künstliche „wir“, das die Aufgabe erfüllt ein Gemeinschaftsgefühl für die Frauen aus der gebildeten Mittelschicht zu schaffen und die Tatsache, dass gestandene Frauen sich immer noch Mädchen nennen. Wenn man die Stimme der Frauengeneration sein will, dann muss man doch ernsthafter und stärker auftreten.
Es fehlt dem Buch leider ein herrschaftskritischer Anspruch, weswegen es sich nur für eine Einführung in die feministische Thematik im 21. Jahrhundert eignet. Die Lektüre wird das Bewußtsein der LeserIn für feministische Themen wecken und zur Auseinandersetzung mit eigener Position in der Frauensache einladen. Eine Einstiegslektüre zur weiblichen Selbstreflexion.
Also kauf das Buch und werde endlich Feministin!

Meredith Haaf, Susanne Klinger und Barbara Streidl/ Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht/ Blanvolet Verlag/ 2008

Dienstag, 15. November 2011

Es hat click gemacht!


Es gibt ganz viele Untersuchungen zu negativen Emotionen, aber sehr spar gesät sind diese, die sich mit den positiven Momenten unseres Lebens beschäftigen. Unmittelbare Vertrautheit, der magische Moment, wo der Funke überspringt und etwas Besonderes sich anbahnt, steht im Zentrum der Untersuchung von zwei Autoren Ori und Rom Brafman. Das Buch „Click. Der magische Moment in persönlichen Begegnungen“ ist ein gut und strukturiert geschriebenes Buch, das zwar keine bahnbrechenden Erkenntnisse bringt, aber das in uns vorhandene Bauchgefühl bestätigt und uns bestärkt die Magie „künstlich“ entstehen zu lassen.
Die Autoren haben fünf Kriterien herauskristalisiert, die Herbeiführung des magischen Moments beschleunigen können: Verletzlichkeit, Nähe, Resonanz, Ähnlichkeit und ein sicherer zusammenschweißender Ort.
Sie nehmen unter die Lupe verschiedene Lebensbereiche, sei es in der Beziehung zwischen Mann und Frau, in einem Streicherquartett, zwischen Geschäftspartnern oder auch Sportlern- der „click“-Efekt setzt in einem eine kreative Energie frei und befördert ans Tageslicht unser Bestes.
Die Autoren ziehen psychologische Studien heran und belegen ihre These anhand von zahlreichen gut recherchierten Beispielen. Sie ermutigen den Leser ihr Leben nicht dem Zufall zu überlassen und sehnsuchtsvoll auf eine magische Begegnung zu warten, sondern das Leben bewusst mitzugestalten und die Magie willentlich zu kreieren. Sie geben aber zu, dass es auch Menschenmagneten gibt, die für diese Aufgabe prädestiniert sind.
Viele Inhalte des Buches sind offensichtlich und beruhen auf dem gesunden Menschenverstand. Manchmal lassen nur die interessanten Studien das Buch nicht weglegen. Andererseits brauchen die Menschen ständig an das Selbstverständlichste der Welt erinnert werden. Deswegen brauchen wir solche Bücher. Nicht nur beschreiben sie die zwischenmenschliche Magie, sondern belegen, dass man gewisse Haltung mitbringen muss, um an ihr häufiger teilzunehmen.
Eine schnelle, Menschenkenntnis erweiternde Lektüre, die einen ein wenig bereichern wird.

Click. Der magische Moment in persönlichen Begegnugen/ Ori und Rom Brafman/ Beltz Verlag/ 2011

Montag, 14. November 2011

Das Ziel: Überleben


Rüdiger Nehberg ist eine Ausnahmeerscheinung.  Als verhinderter Banker machte er eine Lehre als Bäcker, dann als Konditor. Das Schicksal wollte jedoch, dass er zum Survivalpionier und Menschenrechtsaktivist wurde. Seine Autiobiographie bietet einen Querschnitt durch sein buntes und risikoreiches Leben.
Nehbergs Weg führt durch Wüsten, Wälder und über Meere. Er hat die Erde kreuz und quer durchwandert, hat dem Tode ins Auge geschaut, saß im Knast in Jordanien und hat die Würmer verspeist. Diese einzigartige Figur ist ein Überlebenskünstler wie kein anderer. Er ist auch fesselnder und ehrlicher Erzähler, der es weißt die Spannung zu halten und dem Leser seine Abenteuer anekdotenreich zu erzählen.
Nehberg kämpft um die Erhaltung des Regenwalds und im Rahmen von seiner Initiative TARGET  geht er gegen weibliche Genitalverstümmelung in Afrika und im Nahen Osten vor. Er verhandelt mit Islam um seine Ziele zu erreichen und erfreut sich dabei orientalischer Gastfreundschaft. Sein Engagement hat zahlreiche Leben verbessert, aber auch gerettet.
Bemängeln kann man an seinem Buch die Inkonsequenz in der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse. Zuerst fängt der Autor in seiner Kindheit an, um dann verschiedene biographische Stränge zu vermischen. Aber angesichts des Reichtums seiner plastisch und packend erzählten Geschichten ist dies nur eine Kleinigkeit, die sich auf die Qualität des Leseerlebnisses nicht auswirken wird.
Es ist ein außerordentlicher Bericht von einem erfüllten und energievollen Leben, das jeden Leser faszinieren wird. Die Wanderlustigen werden nach der Lektüre dieses Buches zu seinem „Survival-Lexikon“ greifen, um sich zu eigenen Eskapaden zu inspirieren. Ein wahrhaft stimulierendes Buch, geschrieben im Ton ansteckender Begeisterung!

Rüdiger Nehberg/ Die Autobiographie/ Piper Verlag/ 2007/ 9,95€

Glück kommt selten allein

Die Frage, was Glück ist und wie es entsteht hat die Menschen seit eh und je beschäftigt. Zahlreiche Bücher wurden schon zu diesem hochaktuellen Thema geschrieben. „Glück kommt selten allein ...“ ist zwar ein Ratgeber, aber einer der besonderen Art. Ein Arzt und Comedian- Eckart von Hirschhausen präsentiert darin die Erkenntnisse der neuesten Glücksforschung auf sehr humorvolle und kurzweilige Art. Er widmet sich dabei verschiedenen Bereichen: Freunde, Partnerwahl, Zufall, Genuss, Beruf. Das gesonderte Vorwort für Optimisten und Pessimisten leitet das knapp vierhundertseitige ein wenig  glücklicher machende Buch ein und verspricht  eine gesunde Mischung aus Polemik, Humor und Lebenshilfe. Das Buch ist voller kleiner Glücksrezepte und Übungen, die einem bewusst machen, dass man vom Glück in Fülle und Hülle schon umgeben ist. Manchmal aber steht man sich selbst im Wege, was das Erreichen des schönen Gefühls betrifft. So wie das Buch zum Ausprobieren ist, so ist das Glück zum Basteln und Selbermachen. Der Leser findet eine „Gebrauchsanweisung“ für den eigenen Glückskompass sowie einen „Bunten Bastelbogen, mit dessen Hilfe er sein erstes Sternenbild konstruieren wird.
Glück ist nach Hirschhausen kein Gefühl, sondern setzt sich aus vielen Komponenten zusammen. Er bemängelt die Eindimensionalität des deutschen Wortes Glück und plädiert für viele Namen für den Glückszustand.
Viele seiner Lieblingswitze klingen nach vielfacher Verwertung auf den Bühnen schon abgedroschen, trotzdem ist der Spaßfaktor garantiert. Der Unterschied zu herkömmlichen Glücksratgebern besteht darin, dass es hier etwas zum Lachen gibt und das ist schon ein halber Erfolg. Bei seinem Werk handelt sich eher um ein Unterhaltungs- als um reines Sachbuch. Zu vielen Details kommt man gerne zurück und amüsiert sich an ihnen zum wiederholten Male.
Es ist ein sehr persönliches Buch, das einen sowohl schmunzeln als auch lauthals lachen lässt. Ein Glücksgriff unter zahlreichen anderen Bestsellern. Selten war Selbsttherapie mit einer so enormen Prise Humor gesalzen!

Eckart von Hirschhausen/ Glück kommt selten allein /Rowohlt Verlag/ 2009/9,99 €.

Das schönste Gefühl


Nicht erschrecken! „Ins Glück stolpern“ ist kein nächstes Selbsthilfebuch. Der Autor gibt dem Leser nur einen Ratschlag: „ Suche dein Glück nicht, dann findet es dich von selbst“.
Die Unplanbarkeit des Glücks ist das Leitthema des Buches. Es gibt keine einfache Glückformel ist die Erkenntnis der Lektüre. Es ist eine Studie der Erwartung, des Gedächtnisses und der Perzeption, also von all dem, das die Struktur des Glücks ausmacht. Gilbert geht der Selbsttäuschung auf den Grund und stellt eine große Selbstzufriedenheit bei untersuchten Menschen fest, die den Glücksmesser überflüssig macht. Er macht dem Leser bewusst dass, der Großteil seiner Gedanken, dem Vorausschauen der Zukunft gewidmet wird und erinnert, dass unser planender Frontalcortex uns von Tieren unterscheidet.
Glück handelt in Wirklichkeit über das Antizipieren der Zukunft und das Verstehen der Vergangenheit. Gilbert sagt jedoch, dass wir sehr schlecht darin sind, vorauszusagen, wie wir uns in der Zukunft fühlen werden. Das gleiche gilt für die ferne Vergangenheit, die auch diffus ist. Anstatt sich Sorgen um unbestimmte, noch nicht existierende Zukunft zu machen, soll man sich zurücklehnen und warten bis man in das zukünftige Glück zufällig stolpert. Weil nichts ist, wie es scheint.
Der Autor besitzt die seltene Fähigkeit die schwierigen Tatsachen einfach und charmant darzulegen. Hinter seinem Buch steht eine einfache, aber kraftvolle Idee, die einen nicht glücklich machen, aber verhindern wird, dass er sich selbst täuschen und Illusionen verfallen wird. Eine Lektüre für Leute, die die Wirkungsmechanismen des menschlichen Gehirns besser verstehen wollen und wer will das nicht?

Ins Glück stolpern/ Daniel Gilbert/ Goldmann Verlag/ 2006/ 9,95€

Sonntag, 13. November 2011

Musikalisches Traumwunderland

 Es wurde ein Begriff geprägt, um die Musik von dem Mädchen-Duo CocoRosie zu bezeichnen- es ist das Weird-Pop. Diese darin enthaltene Merkwürdigkeit gibt aber nicht den Reichtum der Musik der beiden Schwestern wieder, die schon wieder ein hochexperimentelles verträumt klingelndes Soundgemisch aufbereitet haben.
Fernöstliche Flöten vermischen sich auf dieser Platte mit Naturklängen, Opern-und Sprechgesang, Kinderspielzeugtönen und Harfe. In „Hopscotch“  hüpft beispielsweise das allgegenwärtige Klavier, „Fairy paradise“ eignet sich zum Tanzbeinschwingen, „Lemonade“ erinnert stellenweise an die Fröhlichkeit der Jugendzeit, „Undertaker" an ein melancholisches Klagelied und „Trinity´s Crying“ ruft in das Gedächtnis eine heidnische Waldzeremonie.
Der Jazzpianist Gael Rakotondrabe aus La Réunion avancierte während der Arbeit an dieser Platte zu einem vollwertigen Teammitglied, der für manche Kompositionen verantwortlich war. Sein Klavier durchzieht das ganze Kunstwerk der beiden Schwestern wie ein roter Faden, der Orientierung bietet.
Das Album ist ein Klangkaleidoskop, das aus angenehmen Störgeräuschen besteht, die zum Träumen einladen. Es besitzt einen vollen und runden Sound, der bizarr-mysteriös ist. Das Ganze ist ein Kuriositätenkabinett, das die Möglichkeit zu einer vertrackten Wanderschaft abseits der Konventionalität bietet. Hier gilt der Grundsatz, den Inhalt nicht nach dem hässlichen Cover zu bewerten. Drinnen erwartet einen nämlich eine bezaubernde Klangmaskerade mit unschuldigen Kindheitserinnerungen.

CocoRosie/ Grey Oceans/ Souterrain Transmissions- Rough Trade/2010


Umkippen der Dinge


Malcolm Gladwell ist ein Journalist von New Yorker Magazine. Sein Buch beschreibt am Beispiel der Modeerscheinungen, dass man scheinbar unbewegliche und eingefahrene Phänomene „kippen“ kann. Den Begriff „Tipping point“  stammmt aus der Medizin und beschreibt wie Viren sich ausbereiten. Ähnlich passiert es mit Ideen, Produkten, Nachrichten und Verhaltensweisen.
Gladwells erstes Beispiel ist das Auftauchen des Hush-Puppies-Trends. Plötzlich fing eine Teenagergruppe aus East Village in New York  an sie modisch zu finden, worauf sie immens populär wurden. Diese begabte Gruppe der Trendsetter hat es durch Mund-zu-Mund Propaganda geschafft eine Entwicklung in den Gang zu setzten, die diese Lederschuhe in allen Staaten zu einem bekannten Symbol machten. Gladwell benennt Personen, die für soziale Veränderungen sorgen: Vermittler, Kenner und Verkäufer. Er beschreibt den Verankerungsfaktor, der zum Beispiel bei den kleinen Zuschauern der Sesame Street bewirkt, dass sie gebannt sitzen und fernsehen. Dieser Abschnitt hat wenig mit dem Tipping Point zu tun und Gladwell widmet dem Phänomen des "Haftenbleibens" allzu viel  Platz in seinem Buch.
Nicht besonders überzeugend ist seine Zuschreibung der geminderten Verbrecherrate dem Verschwinden des Graffitis aus dem Mitteln des öffentlichen Nahverkehrs. Er nimmt nicht unter die Acht, dass auch die Anwesenheit der Polizei, die Sanktionen und die ökonomischen Veränderungen zu einem Absinken der Verbrecher führten.  Zu den guten Seiten des Buches gehörten die interessante Idee, die einen fesselt und das Verlangen des Autors mit dem Leser zu kommunizieren. Das Manko ist,  dass  Gladwell beschreibt, dass die Dinge kippen aber beschreibt nicht wie sie es tun. Eine Strategie oder ein Plan, wie man den Tipping Point in den Gang setzt, fehlen in diesem Buch. Obwohl es einge Ansätze beinhaltet, die beschreiben wie man die Welt verbessern kann, vermisst man die Anwendungsbeispiele, die dieses Buch sehr bereichern wurden. Anstatt dessen ist sein Buch voller Statistiken und Nachrichtenfetzen, die irgendwie zusammenpassen wollen. Seine Ideen stützen sich vorwiegend auf den gesunden Menschenverstand und der Autor verkleidet sie als Wissenschaft. Der Abschnitt, der Suizid als eine Epidemie darstellt ist schlichtweg falsch und kann dazu führen, dass man sich auf die äußeren Probleme konzentriert und nicht auf die inneren Konflikte des Individuums, der dringend Hilfe braucht.
Alles in allem ist das ein interessantes Buch, dass die oben angedeuteten Phänomene schildert, aber nicht wirklich in die Tiefe geht und die Struktur vermissen lässt. Ein nichts konkretisierendes Buch, das voller Allgemeinplätze ist.

Malcolm Gladwell/ Tipping point/Berlin Verlag/2000

Samstag, 12. November 2011

Kunterbuntes Kinderparadies

Der ultimative Twee-Pop aus Australien hat eine weitere Ausprägung und zwar das Album „Places like this“. Der funkige und bunte Sound von Architecture in Helsinki, diesem chamäleonartigen Sextett, versprüht schon wieder Freude in die graue Welt.
Manchmal versteht man die Sänger nicht, ihre Texte sind mitunter dadaistisch sinnlos, trotzdem bleiben die Vokale das, was man mit kindischer Freude gebannt hört. Die Band hat trotz des Namens mit der Architektur in Skandinavien nichts zu tun, der Bandname korrespondiert eher mit explodierender und sorgenfreier Leichtigkeit des Down Under als mit verschneiten depressiven Landschaften à la Helsinki. Ihre Lieder klingen improvisierend und strukturlos, aber ihr inkohärenter Sound ist ihre große Stärke. Die Band beherrscht über vierzig Instrumente, die sie mit vollem Engagement in dem eigenen wunderschönen musikalischen Chaos einsetzt. Eklektisch bedienen sie sich Elemente aus vielen musikalischen Stilrichtungen und setzten sie neu zu sympathisch verrückten  Kompositionen zusammen.
Dieses Album kommt zwar nicht an die irrsinnige Ulkigkeit des Vorgängers heran, ist aber eine Fortsetzung der erheiternden und belustigenden Schiene, auf der die Band seit zwei Alben rasant fährt.
Psychodelische Kindergartenrheime, surreale Melodien und drauflos schreiende Kehlen sorgen auf diesem Album für eine gesunde Mischung aus purer Lebensfreude und anspruchsvollem Hörgenuss.

Architecture in Helsinki/ Places like this/ Moshi Moshi- Universal/ 2007



Besser töten, geschmackvoller Essen


Theresa Bäuerlein, einst eine missionarisch eingestellte Vegetarierin, versucht einen Mittelweg zwischen Fleischverzicht und Fleischkonsum zu finden. Sie wettert gegen Vegetarier, um dann am Ende zu sagen, dass sie doch nicht gegen sie argumentiert. Sie schrieb ein Buch, das trotz seines Versprechens im Titel den ethischen Aspekt des Fleischverzichts völlig außer Acht lässt.
Bäuerlein prangert die Landwirtschaft, die obwohl sie genug produziert, Verteilungsprobleme hat und dadurch für Welthunger verantwortlich ist. Sie nimmt unter die Lupe das Düngerproblem, welches häufig von den Gegnern des Fleischessens ausgeklammert wird. Ohne Tiere gäbe es keinen Dünger, behauptet sie. Sie kreidet die Herstellung von Stickstoffdünger mit Hilfe von Erdöl an, was auch umweltschädigend ist. Monokulturen von Mais und Soja können enormen Schaden anrichten, polemisiert sie und ist der Meinung, dass es keine gewaltfreie Ernährungsform gibt und der Tod systemimmanent ist.
Sie widmet jedoch viel zu viel Aufmerksamkeit  der Geschichte des Düngers und wiederholt sich an zahlreichen Stellen, was nicht für ein ehrliches und gründliches Recherche und steht. Sie stempelt Vegetarier als Heuchler ab, weil für ihre pflanzliche Ernährung schließlich auch Tiere sterben mussten. Sie zitiert ausgiebig aus dem Lierre Keiths Buch „The Vegetarian Myth“, was den Vorwurf fehlender eigener Argumentation aufkommen lässt.
Die Autorin beschreibt den Besuch des sogenannten Porkcamps, eines kollektiven Schlachtfestes, wo die Konsumenten an die Alternativen zu Massentierschlachtung herangeführt werden sollen. Das soll die Methoden des bewussten Tötens anzeigen und den Fleischkonsum angeblich legitimieren.
Utopisch ist ihre Forderung nach „individuell“ getöteten Tieren und nach artgerechter Tierhaltung, die sich in unserer profitgetriebenen Welt nicht umsetzen lässt. Ich gebe ihr aber Recht, dass man erst die Nachfrage nach den Tierprodukten aus den Massentierhaltungssystemen reduzieren muss, wobei das als nur Teil der Lösung anzusehen ist. In diesem Kontext sind Initiativen von Vebu (Veggietag) ein guter Anfang, der zum Umdenken führen kann. Man soll sich aber vergegenwärtigen, dass nicht nur Fleischverzicht zur Weltrettung führen kann, wie in ihrer Kindheit Theresa Bäuerlein naiv glaubte.
Obwohl sie schreibt, ihr Buch solle nicht „Fleischessern Rechtfertigung für maßlose Exzesse“ geben und „nicht gegen Vegetarier und Veganer gerichtet“ sei, verklingt ihr Statement im Grundtenor des Buches. Das Buch ist erst nach der Lektüre anderer fleischverdammenden Bücher, zum Beispiel Jonathan Safran Foers „Tiere essen“ zu empfehlen. Sonst kann es im Gehirn eines nicht genügend bewanderten Leser die Fehlinformationen einpflanzen, die dann schlecht auszurotten sind. Das Buch scheint eine Rechtfertigung des eigenen Fleischkonsums sein zu wollen und das ist sicherlich nicht der richtige und nachhaltige Weg.

Theresa Bäuerlein/ Tiere Essen/ Ludwig Verlag / 2011

Freitag, 11. November 2011

Hymnisch-düstere Schönheit

Arcade Fire ist im experimentellen Indie-Pop-Rock-Folk-Bereich anzusiedeln. 
Das Album „Neon Bible“ löst im Zuhörer ganz unterschiedliche Emotionen aus. Es lässt ihn erschaudern, weinen, lachen, tanzen und nachdenken und das schafft kaum ein Album.  Aufgenommen wurde es im von der Band gekauften Kirchengemäuer und das spürt man durch die düstere und melancholische Stimmung, die durchweg präsent ist. Arcade Fire entfalten nämlich apokalyptische Klanglandschaften, die Dynamik und Hochgefühl  transportieren. Ihr Sound  ist flutartig und steigert sich zu vielen unvergesslichen eindringlichen Höhepunkten. Feierlich ist das Orgelspektakel "Intervention", pathetisch und  elegisch „Neon Bible“ und  leicht „Keep the Car Running“. Das Septett Arcade Fire äußert Kritik an den bestehenden Verhältnissen in den USA, kündet Armageddon an und trotzdem klingt triumphierend und einfach schön.  Die Band ist verstrickt in Trauer und Dunkelheit, erreicht es aber eine glanzvolle Magie zu zaubern, die den Zuhörer bis zum letzten Lied fesselt.
Eine originelle Band, an die man sich noch in zwanzig Jahren erinnern wird.

Arcade Fire/Neon Bible/City Slang -Universal Music/2007


Donnerstag, 10. November 2011

Parlieren wir Amerikanisch


Bill Bryson ist bekannt für seine joviale Lebensfreude, die sich in seinen zahlreichen Büchern wiederspiegelt. In seinem Buch „Made in America“ nimmt er sich der Sprache seiner Landsleute an und seziert sie unbarmherzig im Plauderton.
Bill Bryson geht in der ersten Hälfte chronologisch vor. Er fängt bei den ersten Kolonisatoren, geht zur industriellen Revolution über und endet bei der Debatte um „politische Korrektheit“. Während er die etymologischen und linguistischen Zusammenhänge auf den Punkt bringt, wendet er die Strategie der Mythenbekämpfung an. Das Buch ist geteilt in Bereiche: Erfindungen, Reisen, Shopping, Haushalt, Sport, Sex, Filme, Krieg, Immigration, Namen und andere. Es ist ein wahres Panoptikum der englischen bzw. amerikanischen Sprache durchsetzt mit Anekdoten über Geschichte und Sitten der Bewohner des amerikanischen Kontinents. Mitunter beklagt Bryson den Verlust der Sprache Shakespeares und zeigt sich von der sentimentaler Seite.
Manchmal gibt er dem Leser an die Hand lange Listen von Worten ohne erkennbaren Zusammenhang, Daran leidet das Buch stellenweise. Jedoch zeigt das Buch, dass die Sprache einer Nation über ihren wahren Charakter Bände sprechen kann.
Seine informale Geschichte der amerikanischen Sprache bleibt jedoch informativ, attraktiv und vor allem witzig. Trotzdem gehört das Buch nicht zu den besten des Autors. Geeignet für die Fans und die Sprachfetischisten. 

Bill Bryson/ Made in America/ Black Swan/ 2004

Mittwoch, 9. November 2011

Do it like Proust

Schon der Titel lässt den Leser erahnen, dass die Lektüre dieses Buches ein lebensveränderndes Ereignis sein will. Botton destilliert aus mehrbändigem Gesamtwerk von Proust die wichtigsten lebensrelevanten Fakten und bereitet sie lehrreich und humorvoll auf.
Diejenigen die die Bücher von Proust nach ein hundert Seiten weggelegt haben, werden des Besseren belehrt. Proust steht zwar für Unverständlichkeit und Irrelevanz, aber dieses Buch spricht keine  blumige Sprache, sondern übersetzt diese in einen modernen und beschwingten Stil.  Bottons Buch ist ein typisch-untypischer Ratgeber. Die Kapitel fangen mit „Wie man“ an und bieten eine zeitgemäße und originelle Anleitung, wie man sein Leben nach der proustschen Manier verschönern kann. Proust erweist sich als Quelle des Wissens über glückliche Liebe, Gefühlsausdruck, richtiges Lesen, Liebe zum Leben, Freundschaften, bewusstes Sehen und vieles mehr. Der große Schriftsteller und Menschenkenner Proust hat nämlich trotz seiner alles sezierenden und durchdringenden Intelligenz den Sinn für Humor behalten und den lässt uns Botton spüren. Proust verstand auch, dass die Essenz des Lebens die Summe alltäglichen Dinge ist, daher seine Liebe zum Detail.
Das Buch eignet sich als Geschenk sowohl für Proustianer als auch für Menschen, die es nie vollbracht haben, Recherche vollständig zu lesen. Der Leser wird Proust auf eine bis dato unbekannte Art und Weise sehen, als einen witzigen, aufgeweckten und pragmatischen Menschen.
Ein außergewöhnliches Selbsthilfebuch für Literaten und für die, die es werden wollen!

Alain de Botton/Wie Proust ihr Leben verändern kann /S.Fischer Verlag /1998

Kein Fortschritt ohne Fehltritt

Den berühmten Ärzten verdankt man die Durchführung der spektakulären Operationen und Erprobung der innovativen Behandlungsmethoden. Häufig vergisst man dabei die Rolle der mutigen Patienten, die durch ihre Opferbereitschaft dazu beitrugen, dass die Medizin fortgeschritten ist. Jürgen Thorwald würdigt ihre Rolle in seinem Buch „Die Patienten“.
Er schildert zum Beispiel den Fall eines Mannes aus Kapstadt (Philip Blaiberg), der zweiter Transplantationspatient von einem berühmten Arzt Barnard war. Im 1968 machte er eine Herztransplantation durch, die dem breiten Publikum bewusst machte, wie wichtig solche Personen wie er sind und wie ihr Mut den breiten Patientenkreisen helfen kann. Nicht nur Ärzte, sondern Ärzte und Patienten machen die Medizingeschichte. Eileen Saxon und ihre Entschiedenheit um das Leben ihres kranken „Blue-Baby“ zu kämpfen, half den Ärzten Meilensteine in der Geschichte der angeborenen Herzfehlerkrankheiten zu setzen. Sofia Schafstadt, eine politische Gefangene aus einem holländischen Internierungslager inspirierte die Weiterentwicklung der künstlichen Niere und bahnte damit den Weg anderen Patienten. Heute gehört diese Prozedur zu Standardoperationen. Edith Helm und Georges Siméon und deren Zwillingsgeschwister haben sich in die Geschichte der heute ebenso routinierten Nierentransplantation eingeschrieben. Der taubstumme Hausierer Boyd Rush aus Mississippi und der Buchhalter Everett Thomas aus Arizona haben mit ihren zur Verfügung gestellten Körpern einen großen Beitrag zu Herztransplantationen geleistet, die trotz Misserfolge immer vervollkommnet werden.
Das Buch liest sich trotz der weitschweifig beschriebenen Ereignisse wie einen spannenden Krimi. Thorwald fängt den Schmerz und die Verzweiflung der Patienten plastisch ein. Er schildert detailgenau die medizinischen Prozeduren, so dass auch der Laie mithalten kann. Die Geschichte der Einzelschicksale lenkt die Aufmerksamkeit auf die Herausforderungen und Nöte der Medizin von heute und schöpft Mut für die Zukunft. Ein langatmiges, aber fachmännisch kluges und bewegendes Buch. 

Die Patienten/ Jürgen Thorwald/ Deutscher Bücherbund /1971

Frankreich für Anfänger

Der 27-jährige Paul West verlässt seine britische Heimat um seine Businessfähigkeiten in Frankreich unter Beweis zu stellen. Seine skurillen Abenteuer und Fauxpas dokumentiert das wahnsinnig komische Buch „A year in the merde“. (Zur Information für die nicht frankophilen Leser: merde ist das, was die Hunde kilogrammweise auf den Straßen ausscheiden.)
Paul West eine Kreuzung aus David Beckham und Hugh Grant. Er soll seinem französischen elitären Chef dabei helfen, ein Teeroomnetz aufzubauen. Der Protagonist macht Erfahrungen mit der französischen Ineffizienz, formidablen Essen, konstanten Streiken und dem Sex in Fülle und Hülle. Die Eskapaden mit den willigen Pariserinnen nehmen breite Passagen seines Buches ein und man gewinnt dadurch einen recht einseitigen Eindruck. Seine zahlreichen vermeintlichen Rendezvous scheinen aber nur Phantasien eines aufgedrehten Junggesellen zu sein. Jedoch fehlen in dem Buch nicht die Tipps für die künftigen Touristen, zum Beispiel um einen Expresso zu bekommen soll man nach un express fragen, un demi bedeutet ein normales Bier und un creme bezeichnet in Wirklichkeit Café au lait. Das Buch scheint den Eindruck einer fiktiven Autobiographie zu machen, deswegen wundert die Versicherung des Autors, dass alle Namen zwecks Wahrung der Privatheit geändert wurden.
Das Buch ist eine balancierte Portion Lesestoff, manchmal lachen die Franzosen, manchmal die Engländer. Der Autor nimmt die vielen Stereotype aufs Korn und deswegen bleibt das Buch eine obligatorische Lektüre vor einem Besuch in Frankreich, das auch seine dunklen oder eben komischen Seiten hat.
Ein verrücktes Tagebuch, das herzliches Lachen auslösen wird!

A year in the merde/ Stephan Clarke/ Black Swan/ 2004

Dienstag, 8. November 2011

Bettgeflüster à la Neurotisch

Das Leben ist vielleicht ein Tränental, aber mit Woody Allen ist es erträglicher darin zu leben. In seinem epochenmachenden Film „Der Stadtneurotiker“ erforscht er den Paar-Kosmos und würzt das Ganze mit seinen Meditationen über das Leben als auch den Tod.
Wenn im Leben eine neurotische Frau Annie Hall (Diane Keaton)  auf einen neurotischen Mann Alvy Singer (Woody Allen) trifft, entsteht eine nervöse Romanze, die in diesem Fall in einer gegenseitigen Psychoanalyse mündet. Bevor aber das passiert entfaltet  sich eine Liaison mit allen möglichen Eigenartigkeiten, Dilemmata und Konflikten, die dann zu therapieren sind. Annie Hall ist eine Verkörperung der Leichtigkeit, die für den todesfaszinierten Alvy eine psychologische Herausforderung darstellt. Er selbst ist ein Stand Up Comedian, der regelmäßig dem Psychiater Besuche abstattet, um seine anwachsenden Egoprobleme endlich zu lösen. Von seiner sympathischen Neurose lebt der Film, der trotz der Thematisierung behandlungsbedürtiger Probleme stets leicht und erheiternd bleibt.
Woody Allen ist ein Meister des intellektuellen Kinos, das die Abgründe der zwischenmenschlichen und –geschlechtlichen Beziehungen erkundet. Seine unnachahmliche Art die komplexen Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen, macht seine Filmsprüche zitier- und salonfähig. Sein Film besteht vorwiegend aus prägnanten Dialogen, die überall stattfinden. Das macht eben den Charme von diesem referenzreichen Film aus, der viele Regel des konventionellen Kinos bricht. Alvy befragt die Passanten nach ihrem persönlichen Glück, erscheint als Erwachsener in seinem ehemaligen Klassenzimmer und lässt die selbstzweiflerischen Gedanken der Protagonisten als Untertitel sichtbar werden. Der Film amüsiert über die ganze Länge und sprudelt mit Witz und geistvoller Konversation über. Der rasende spritzige Erzählstil und im Flug wechselnden Szenen machen ihm zu einem unvergesslichen Abenteuer, der nicht genug gelobt werden kann. Ein Meilenstein des bebrillten Neurotikers aus New York. Semiautobiographisch, niveauvoll und unterhaltend.

Der Stadtneurotiker/ Regie: Woody Allen/1977

Magie der Phantasie

Viktorianisches England. Anfang des 20. Jahrhunderts. Miss Beatrix Potter (Renee Zellweger) lebt in einer Phantasiewelt. Eines Tages wird ihr Talent entdeckt und sie verwandelt sich in eine gefeierte Zeichnerin und Buchautorin.
Das Wort Emanzipation wurde damals noch nicht erfunden. Die unverheirateten Frauen wurden entweder unverstanden, bemitleidet oder belächelt. Unter diesen viktorianischen Umständen ist Miss Potter ein Sonderfall. Sie ist eine überzeugte Junggesellin, die keine Abstriche macht. Sie führt nämlich ein glückliches und erfülltes Leben als Kinderbuchautorin. Ihre Bücher über den „Peter Hasen“ werden zum großen Erfolg und sie kann sich endlich unabhängig von ihren Eltern machen. Ihr unverheirateter Zustand wird jedoch von ihrem Verleger Norman Warne (Ewan McGregor) gefährdet, was sie  nicht mit Widerwillen begrüßt. Die leidenschaftlichen Liebesbriefe folgen. Doch ein tragisches Ereignis beendet ihr Glück und wirft sie unerwartet aus der Bahn. Miss Potter tröstet sich aber mit Naturschutz und schließlich findet sie doch das große Glück.
Der Film erinnert durch die bezaubernden Filmkulissen an Romane von Jane Austen. Jedes kleine Detail verdient die Aufmerksamkeit des Zuschauers und trägt zum magischen Gesamteindruck bei. Die Tierprotagonisten fangen vor unseren Augen an zu leben und verselbstständigen sich, so dann man mit ihnen sprechen will, so wie es mit Zärtlichkeit die Autorin tatsächlich tat. 
Ihre Bücher begeistern und erfreuen bis heute Erwachsene und Kinder. Ohne eine Rebellion gegen Konventionen und widrige Umstände würden sie nicht entstehen.
Ein Märchen über die Macht der Phantasie, Tierliebe und den Mut Neues zu beginnen. Sehenswert!

Miss Potter/ Regie: Chris Noonan/ 2006

Montag, 7. November 2011

Urkomische Zeitreise

In dieser von Jane Austen inspirierten Lovestory und Komödie erwacht eine junge Frau aus Los Angeles in England des 19. Jahrhunderts. Dieses Ereignis schien sie als großer Liebhaber der Romane Jane Austens magnetisch angezogen haben. Ihre Peripetien in der Gesellschaft der Regenzzeit schildert humorvoll das Buch „Confessions of Jane Austen addict´“.
Wer versetzte sich in Gedanken nicht in die Welten der Lieblingsbücher und stellte sich nicht vor, in die fremde Haut zu schlüpfen? Jedoch die bloße Realität dieser Phantasien kann weniger rosig aussehen. Die Protagonistin Courtney steckt im Körper einer anderen Frau fest und ist gezwungen sie unvorbereitet und unbeholfen zu spielen. Sie lernt mit Nachtöpfen, Anstandsdamen und ungeschütztem Sex umzugehen. Sie wird von aufdringlichen Freiern verfolgt und macht Bekanntschaft mit einer arrangierten Ehe. Die hygienischen Verhältnisse entsetzen sie und sie verfällt in helle Panik während des Aderlasses. Wenn sie ihre bewunderte Jane Austen auf der Straße in London trifft, überrumpelt sie die Schriftstellerin mit ihr Werk betreffenden literarischen Gendertheorien aus dem 21. Jahrhundert, die natürlich auf schieres Unverständnis stoßen. Es fehlen in dem Buch keine Mißverständnisse, Frustrationen und Männerfaszinationen, die auch jeden Roman von Jane Austen auszeichnen und so lesenswert machen. Diese leichte Komödie verlangt von dem Leser keine Kenntnis von Werken der bekannten Autorin, jedoch ein gewisses Interesse an der Geschichte und Sitten der entlegenen Epoche werden den Lesespaß sicherlich multiplizieren.
Am Ende vollbringt sich eine gewisse Verschmelzung der beiden Charaktere und die moderne Protagonistin findet schliesslich ihren heißgesuchten Mr. Darcy. Der wahnhafte Plot endet überraschend und lässt den fantasierenden Leser schmunzeln. Ein wahres interepochales Lesevergnügen!

Laurie Viera Rigler/Confessions of a Jane Austen addict´/Bloomsbury Publishing/2010/

Quirkyalones aller Länder vereinigt Euch!

Den allgegenwärtigen Pärchenwahnsinn erkläre ich für beendet! Die selbstbewussten und glücklichen Singles haben ein spektakuläres Manifest bekommen. Es ist das ins Schwarze treffende Buch „Quirkyalone. Singles aus Leidenschaft.“
Die Medien predigen eine Fetischisierung der Paarung und einen Paarzwang. Die Stigmatisierung der Singles ist nicht nur eine Angelegenheit des Familientreffens. Sie kann regelrecht das Leben vergällen. Jedoch Schluss mit traurig! Ein Hoffnungsschimmer – nein- ein wahrer Freudenstrahl erleuchtet den Weg der heutigen Singles. Das Buch von Sasha Cagen, die den Begriff quirkyalone erfunden hat schöpft Mut und befreit Singles aus dem Tal der Trostlosigkeit. Es bietet die Möglichkeit zur „Selbstdiagnose“, klärt Begriffe, zeichnet die Geschichte  der Bewegung nach und bietet Inspirationen von anderen Quirkyalones, dessen Leben voller Freude und Selbstverwirklichung ist. Der hippe Begriff Quirkyalone deutet das Singledasein positiv um und bietet Identifikationsmöglichkeiten. Die Singles aus Leidenschaft sind anspruchsvoll und schließen keine Kompromisse. Sie sind im Berufsleben stehende Menschen, die nicht klein beigeben. Sie besitzen durchaus romantische Träume, aber schätzen auch Freundschaft. Sie waren immer unter uns und es lässt sich nicht mehr verneinen. Das Buch verleiht ihnen Stimme und beginnt eine durch nichts aufzuhaltenden weltweite Bewegung der Quirkyalones. Für viele wird das Lesen dieses revolutionären Buches, wie ein in den Spiegel schauen sein. Ein Hoch auf unsere Singles!

Quirkyalone.Singles aus Leidenschaft/Sasha Cagen/ Kabel by Piper/2004

Radio hören mit Woody

Zehnjähriger jüdischer Junge Joe (Seth Green) ist der Held dieser losen Familienerzählung, die verschiedene Kurzgeschichten aus den 40er Jahren bündelt. Der Film ist eine treue Chronik aus dem goldenen Zeitalter des Radios.
Woody Allen verleiht seine Stimme dem erwachsenen Joe, der aus dem Off seine Erinnerungen kundtut. Er porträtiert seine witzige und eigenartige Familie und charakterisiert alle über die Rundfunksendungen, denen sie verfallen sind. Die Story verfolgt keine Linie, ist aber reich an Abenteuern des kleinen Protagonisten, die eine kindliche Frische und Leichtigkeit bewahren. Das Ganze verbinden die Hits der 40er Jahre, mit denen der Film pittoresk untermalt ist. Man spürt die Macht des Mediums, das noch das einzige war. Die Zuhörer nehmen alle Sendungen für bare Münze und glauben sogar dem Bericht über den Angriff der Außerirdischen von Orson Welles. Kaleidoskopisch entfaltet Allen vor uns das Panorama des Alltags in den USA, in der Zeit, wo der Schatten des Krieges über alles Leben lag. Nostalgisch beschreibt er die großen Sorgen und kleine  Freuden der Protagonisten, bietet aber keinen Höhepunkt. Der Film plätschert vor sich hin, um nach 88 Minuten melancholisch zu enden. „Rado days“ ist eine detailgenaue, intelligente und anekdotenreiche Collage aus der Zeit, wo die Menschen mit Leib und Seele dem Radio gelauscht haben. Es ist das fünfzehnte Werk von Woody Allen und das am meisten ausgearbeitete. 
 
 Radio days /Regie: Woody Allen/ 1987

Moderne Effi Briest rebelliert

Tilda Swinton verkörpert meisterhaft in dem größenwahnsinnigen Film „I am love“ eine gelangweilte Ehefrau eines Kleinindustriellen. Ihr prächtig ausgestattetes Leben scheint ein goldener Käfig zu sein, in dem sie langsam, aber sicher erstickt.
Die erste Hälfte des Filmes nimmt sich großzügig Zeit das Leben der reichen Modedynastie zu inszenieren. Dieser Länge verdanken wir das Einfangen der künstlichen Atmosphäre, die bei dieser Familie der italienischen Buddenbrooks herrscht. Emma erinnert an ihre Namensvetterin Madame Bovary, die ebenfalls dem sterilen Leben preisgegeben war. Die zweite Hälfte des Filmes überstürzt und taucht den Zuschauer in die Liebesaffäre mit einem sinnlichen Koch, die in Weichgezeichneten Bilder unter Beigabe von Bestäubungsphotos dargestellt wird. Unser Alter Ego von Lady Chatterly verliebt sich in die Einfachheit und Ungekünsteltheit des kulinarischen Künstlers und fängt an heimlich zu leben.  Ihre Fassade bröckelt langsam und sie entdeckt ihr russisches Temperament wieder. Die Wärme  der sonnigen Natur erwärmt ihr vergletschertes Ich, das ihre Vegetation in einem Palast des Reichtums nun nicht ertragen kann. Sie bricht aus den Konventionen heraus, missachtet die Traditionen und verlässt das Patriarchat. Ihre Transformation zu einer dynamischen ihr Leben selbst in die Hand nehmenden Frau ist einer der wenigen bemerkenswerten Momente des Filmes, der eigentlich  von der Performance Swintons nicht leben kann. Das banale Motiv bleibt banal und nicht mal interessante Perspektiven und der gute Einsatz von Licht und Schatten vermögen es besonders zu machen. Es empfiehlt sich, eher die literarischen Vorlagen für dieses Melange aus verschieden Bezügen, in die Hand zu nehmen und sich anstatt den Bildern dem verbalen Vergnügen hinzugeben.  Überflüssiges Arthousekino, das nach wenigen Minuten gähnen lässt. Etwas für sehr speziellen Geschmack.

I am love/ Regie: Luca Guadagnino/ 2010
Trailer von I am love 

Samstag, 5. November 2011

Vertrackte Medizin


Atul Gawande schreibt offen und klar über Chrirugie, einer Wissenschaft die noch im Entstehungsstadium begriffen ist. Sie resultiert nämlich aus der Intuition, Wissen und reiner Spekulation. Geschrieben von einem Arzt wie man sich ihn wünscht: ehrlich, bedacht und mitfühlend. Die 14 Essays sind früher in The New Yorker erschienen.
Der Autor erinnert uns in seinem Buch daran, dass auch die Ärzte keine unfehlbaren Menschen sind. Er stellt dabei Fragen: Wie viel kann man riskieren um chirurgische Geschicklichkeit zu gewinnen? Soll man den Patienten ausreichend informieren? Inwiefern sollen die Ärzte für ihr Tun verantwortlich gemacht werden? Sein höchst präzises Buch beschreibt die Herausforderungen des ärztlichen Daseins und täglichen Kampf um das höchste Gut- das Leben. Gawande beschäftigt sich mit chirurgischen Operationen im ersten Teil seines Buches, während er im zweiten sich auf die Fallstudien konzentriert. Er beschreibt unter anderem mysteriöse Fälle von Übelkeit und Erröten. Der Autor sieht Medizin als erstrebenswerte und noble Beschäftigung, die jedoch an dem Patienten als Versuchskaninchen perfektioniert werden muss. Die Stärken des Buches sind sowohl die Tiefe und Detailgenauigkeit, als auch laienverständliche Sprache. Gawande spricht im Ton eines Insiders, mit Demut, Intelligenz und ansteckender Leidenschaft.
Ein erleuchtendes Buch geschrieben aus der Perspektive eines Patienten und Arztes. Trocken, didaktisch und lehrreich. Eine Lektüre, die den Blick des Lesers auf die menschengemachte Medizin verändern wird.

Die Schere im Bauch/Atul Gawande/ btb Verlag/ 2010/ 9,95€

Bio, Baby!

Vanessa Farquharson führte ein Experiment durch. Ein Experiment mit ihrem eigenen Leben. Sie nahm sich vor 365 Tage „ökologisch korrekt und trotzdem sexy“  zu leben. Ihren Versuch dokumentierte sich in ihrem unterhaltsamen Buch über das grüne Gewissen und Wege zur Nachhaltigkeit.
Die Autorin vermengt ihre Lebensbeschreibung mit ökologischen Fakten, die sie als ein Abenteuer lustig verpackt. Ihre Dokumentation jedes einzelnen Tages ist ehrlich und schonungslos. Sie macht gewisse Sachen mit Widerwillen und mitunter gehen ihr die Ideen aus. Jedoch konsequent zieht sie ihr Vorhaben durch und implementiert täglich innovative Ideen in ihr Singleleben. Nachdem sie ihre ökologische Ader endlich entdeckt hat, kommt sie zur Schlussfolgerung, dass ihre Großeltern schon seit dem Krieg nachhaltigkeitstechnisch ein fast makelloses Leben führen. Doch das bestärkt sie nur in dem Vorhaben, den eigenen CO2-Fußabdruck zu minimieren. Ihr Bericht strotzt vor Beispielen und Inspirationen, im Vordergrund bleiben allerdings die persönlichen Gefühlsschilderungen. Im Laufe der Erzählung verwandelt sich das Experiment in ein mitunter qualvolles Wagnis, was sie auch zugibt. Am Ende lebt sie grüner als zuvor, entscheidet sich aber doch den Kühlschrank einzuschalten und nicht nur den weltrettenden Verzicht walten lassen.
Das Buch ist eine persönlich geschriebene Geschichte, die einen schmunzeln und lachen lässt. Es ist  kein Ratgeber gemeint, weil die Autorin keinen umerziehen will.  Allerdings ist das Buch sehr hilfreich für den Einstieg in die Umweltproblematik und enthält viele ausgeklügelten Anregungen für einen skeptischen Grünschabel in Biosachen. Eine leichte nachdenklich stimmende Lektüre in einem recycleten  Umschlag.

Nackt schalfen ist bio/ Vanessa Farquharson/ Bastei Lübbe Verlag /2009 / 8,99€

Musicophilia des Gehirns


Oliver Sacks ist ein Arzt und ein großartiger Erzähler, der dem Leser wissenschaftliche Fakten attraktiv aufbereitet. In den 1990er Jahren wurde er mit dem Buch „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ berühmt und seitdem ist er aus dem klinisch-literarischen Alltag nicht wegzudenken.
Sein neues Buch heißt im Original „Musicophilia“, was dem Inhalt gerechter wird als der deutsche Originaltitel. Sacks erzählt von Menschen, die durch eine Hirnverletzung die Musikalität verlieren als auch entwickeln. Beides ist nämlich möglich in der Welt des menschlichen musikalischen Gehirns. Sacks schildert die kognitiven Wunder von der Furcht vor Musik, Hirnwürmern, musikalischen Halluzinationen, absoluten Gehör und gibt zahlreiche Beispiele dafür wie Musik  zum Segen als auch zum Fluch werden kann. Die Menschen mit Aphasie können das Sprechen durchs Singen wieder lernen, andere hingegen werden von wiederkehrenden musikalischen Halluzinationen geplagt. Berühmte Menschen wie Che Guevara tanzen zu Tango Mambo und sehen nicht den Unterschied. Das alles zeigt, dass Musik ein Mysterium ist, das sich vor allem im Kopf des Hörers abspielt.
Oliver Sacks schreibt einfühlsam, ernst und unterhaltsam zugleich. Sein Buch bringt das Klinisch- Abnormale nach Hause und macht komplexe Phänomene leicht verständlich. Trotzdem ist sein Buch keine einfache Kost, weil Sacks das Fachpublikum als auch wissbegierige Laien zufriedenstellen zu wollen scheint. Trotzdem ist das Buch ein Muss für jeden Menschen,  der von der Magie der Musik überzeugt ist.

Der einarmige Pianist. Über Musik und das Gehirn/ Oliver Sacks/ Rowohlt/ 2008/ 19,90€

1000 kritisierte Orte


Jedes Jahr steht der Otto Normalverbraucher unter Druck. Er soll verreisen.  Aber wohin? Je exotischer, desto besser. Dietmar Bittrich entlarvt in seinem Buch die Sehenswürdigkeiten als Sehenswurstigkeiten und nimmt uns auf eine alles Reisen vermiesende Reise durch die touristische Welt.
Bittrich stellt uns nüchtern nur die negativen Seiten der Reiseziele dar und scheint zeigen zu wollen, dass wir beim Reisen nicht dem Reichtum des Ortes begegnen, sondern unserer eigenen Person gegenüberstehen, die je nach dem die Reise mit Inhalten füllt oder sie zu einem langweiligen Disaster macht. Er kritisiert dabei jeden Ort , gibt Anleitungen, wie man lästige Mitreisende los wird, schildert unverdauliche Landesspezialitäten, bietet Beispiele für ein Expertengespräch und führt Zitate des Kenners an, die aus einem oder anderen Grund die genannten Orte hassen. Sein Antireiseführer verschönert mit seiner Ironie jeden Aufenthalt in den eigenen vier Wänden und verwandelt jeden Reisemuffel in einen wohlwissenden mit allen Wassern gewaschenen Kenner, der mit Insiderwissen prangern wird.
 Seine zynische Haltung verdankt Bittrich zahlreichen Kreuzfahrtreisen, wo er die gelangweilten Gäste als Autor belustigt hat. Er denkt schon über ein neues Buch, das die deutschen Reisespots aufs Korn nehmen soll. "1000 Orte, die man knicken kann“ ist ein humorvolles, obwohl manchmal einseitiges Buch, dass die farbige Wirklichkeit der großen Welt entzaubert. Ein Plädoyer für Urlaub ohne sich zu bewegen. 
 
1000 Orte, die man knicken kann/Dietmar Bittrich /Rowohlt Verlag/2010 /8,95 Euro