Mittwoch, 30. November 2011

Um die Welt für umme


Eine kostenlose Weltreise. Michael Wigge, ein Journalist und Weltenbummler hat es gewagt und ist erfolgreich geworden. Er durchquerte die westliche Hemisphäre ohne einen Cent und schaffte bis in die Anatarktis.
Seine Reise kostete natürlich Geld, das er während der Reise verdient oder erbeten hat. Er schlug sich mit zahlreichen Jobs durch. Er war unter anderen Butler, Sonnenöleincremer, Hill Helper, Gesangsdouble,  Veranstalter der Kissenschlachten, kurz gesagt Mädchen für alles. Seine Betätigungen haben ihm ermöglicht das nötige Kleingeld für Transportmittel aufzutreiben, die ihn durch vier Kontinente und elf Länder brachten. Er litt öfter Hunger, war erschöpft und wollte ein paar Mal zu seiner Kreditkare greifen, aber es ging auch zum Glück ohne Geld. Die zuvorkommenden und freundlichen Menschen, die er auf seinem Wege getroffen hat, trugen ihn wie auf einer Welle durch seine Reisetage mit Geldhilfen, als auch Naturalien. Überall, wo er war, ließ er seine Geschichte hören. Das brachte ihm Bewunderung und Sympathie wildfremder Menschen ein. Seine Kreativität und Glaube an das Gute in Menschen ermöglichten ihm ein unvergessliches Abenteuer zu erleben, das er bestimmt seinen Enkelkindern erzählen wird. Seine Reise beweist, dass es überall gute Menschen gibt, die bereit sind einem zur Seite zu stehen, wenn es brenzlig wird. Das negative Menschenbild, das die Medien vermitteln, kann Michael Wigge nicht bestätigen. Ihm wurde bewusst, dass man auf Reisen Luxusgüter nicht vermisst und dass der Verzicht und das Prinzip des Gebens statt Nehmens viel befriedigender sind als purer Konsum.
Sein Buch ist unterhaltsam geschrieben, man vermisst aber manchmal die zweirangigen Details, die helfen würden, sich die Reise plastischer auszumalen. Seine Reisebeschreibungen sind sachlich gehalten, er zeichnet knapp die Gestalten der Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Der Autor spickt seinen Bericht mitunter mit Fakten über die besuchten Orte und erwähnt Anekdoten anderer Reisenden. Man hat aber den Eindruck, dass er oft an der Oberfläche bleibt und dass man mehr aus dem Stoff rausholen konnte. Immerhin ist es angenehme Lektüre, die am besten am warmen Kamin zu genießen ist. Inspirierend!

Michael Wigge/ Ohne Geld bis ans Ende der Welt. Eine Abenteurreise/ 2010

Montag, 28. November 2011

Prekär, vulgär, künstlerisch



 
Clint Lukas ist ein Mitglied der Surfpoeten, der ältesten Lesebühne der Hauptstadt. In seinem 17 Geschichten umfassenden Buchdebüt berichtet er aus dem abenteuerreichen Leben eines Überlebenskünstlers.
Der kompromisslose und streitsüchtige Held  ist ein Berliner Bohemien, der das Treiben seiner Stadt scharfsinnig beobachtet und es in atmosphärisch dichten Erzählungen festhält. Sein Werk lässt sich in Fragmenten lesen, ist aber auch eine Art Autobiographie. In schnörkelloser Sprache erzählt der Protagonist von seinem Leben als Wurstverkäufer, Filmproduzent und liebestrunkener Säufer. Mit beißendem Sarkasmus schildert er seinen Dienst im Hospizium, wo er die Patienten gezielt an den Rand des Wahnsinns treibt. Nicht besser steht es um die emanzipierten Frauen, mit denen er sich regelmäßig rauft und liebt und keine gewaltfreie gemeinsame Sprache findet. Die kleinen Missverständnisse in der U8 zum Beispiel  eskalieren zu unvergesslichen Dialogen, die provokanter nicht sein konnten.  „Das Leben ist halt eine Zicke“, behauptet der Autor und kippt sich einen hinter den Kragen. In einer der Geschichten diskutiert er feuchtfröhlich über seine große filmische Leidenschaft, in der anderen geht zugedröhnt in die Oper. Der Protagonist macht Filme und kann Filmleute trotzdem nicht ausstehen. Er erlebt Freiheit und verachtet pointierend die fremdbestimmten Spießbürger. Er erzählt ehrlich und vor allem witzig. So vielfältig sein Leben, so auch seine Stories. Sprachlich sind sie vorwiegend vulgär und derb, an manchen Stellen findet man allerdings ausgesuchte Intellektuellensprache. Es fehlt dem Debüt des 27-jährigen nicht an Lakonie, rasendem Tempo und Selbstironie, die sein Bändchen so lesenswert machen.
Für alle die unmittelbarer leben wollen, für Leute ohne Taktik und Plan. Für Künstler und alle die es werden wollen.

Clint Lukas/ Für die Liebe, für die Kunst. Stories ohne Kompromisse/ 2011

Mittwoch, 23. November 2011

Postapokalyptisches Gemetzel

„The book of Eli“ ist ein Film der Huges Brüder. Denzel Washington spielt darin einen Gottesboten, der durch aggressive Selbstverteidigung knapp dem Tod entgeht, um ein geheimnisvolles Buch in Sicherheit zu bringen. Die Handlung spielt sich in verwüsteten Vereinigten Staaten nach dem nuklearen „Großen Krieg“ ab.
Der Protagonist dient wohl dem Gott des Gemetzels: rabiate Kampfszenen, aggressive Übergriffe, aus dem Nichts auftauchende Werkezeuge des Todes, das alles spielt sich in seiner ruhigen Gegenwart, die an Spiritualität erinnert, aber keine ist. Die Bösewichte werden magisch von der Macht der letzten Bibel angezogen, die der Wanderer bei sich trägt. Sie versprechen sich, wie einst im Mittelalter, die Macht über die übrigebliebene Menschheit dank spiritueller Kraft auszuüben. Eine Verfolgungsjagd startet, die über demolierte Landstriche zu letzten menschlichen Behausungen führt.  Die Menschen darin sind rücksichlose Kannibale, die mit diversen Waffen gut eingedeckt sind. Das gibt Anlass zu vielen Explosionen und unglaublicher Wendung, die Hoffnung für die inzwischen gestohlene Bibel aufscheinen lässt.
Die Vermischung von Western und quasireligiöser Bibelstunde ist geschmacklos und absurd. Die frohe Botschaft wird in ein unerträgliches Netz aus Actionfilmklassikerbezügen eingepackt und den Zuschauermassen im Gewand eines Pseudolehrstücks serviert.Die Liebhaber der hirnlosen Gewaltszenen kommen sicherlich auf ihre Kosten.

The Book of Eli/ Regie: Albert Hughes, Allen Hughes/ 2010
Trailer von The Book of Eli

Dienstag, 22. November 2011

Gutmenschen sind unter uns

Will Smith spielt im Film „Sieben Leben“ einen Ingenieur, dessen Geheimnis zum Selbsmord führt, was der Zuschauer übrigens schon am Anfang des Filmes in einer Rückblende erfährt. Der Schauspieler tritt in einer für einen Actionfilmschauspieler ungewöhnlichen Rolle auf und überzeugt auf breiter Front.
Tim Thomas hat sich einer Fahrlässigkeit schuldig gemacht und sucht Sühne für seine Tat. Er wird zu einem Wohltäter, der sieben Leben von guten Menschen grundlegend verändern soll. Er wählt sorgfältig die Nutznießer seines Projektes. Einer von ihnen ist der blinde Ezra, der selbst angesichts einer Provokation seitens Tim sich als langsam zum Zorn erweist. Die andere Person ist eine herzkranke Frau (Rosario Dawson), die sich dem verwitweten Hauptprotagonisten langsam und vorsichtig nähert, um mit ihm eine leider kurzdauernde Liebesbeziehung anzufangen. Von dieser Romanze lebt weitgehend der Film, der zwar durch die Anfangsszene vorhersehbar ist, aber durch ergreifende Geschichte eines inspirierten Gutmenschen begeistern kann. Will Smith hat sich trotz seines aufgesetzten Dackelblickes des Weltschmerzgejagten in Tim gut eingefühlt und überzeugt auch in dieser ihm nicht auf den Leib geschriebener Rolle. Einige unglaubwürdige Geschehnisse unterminieren die Glaubwürdigkeit mancher Szenen, aber der Film bleibt ein großes Gefühlskino, der einen aufwühlt und zu Tränen rührt. Die Musik ist diskret und untermalt Schlüsselsequenzen treffend und nicht aufdringlich. Am Ende fehlt die Stellung zur Organspende, die einem aber durch andere aufgeworfene Fragen entschädigt wird.
Ein emotionales Drama, das den Zuschauer lange nicht loslässt und moralische Fragen provoziert. Eine bewundernswerte Performance von Will Smith, der beweist, dass er nicht nur für eine Rolle geschaffen ist.

Sieben Leben/ Regie: Gabriele Muccino/ 2009

Montag, 21. November 2011

Verträumt, naiv, autistisch

Der Film „Adam“ ist eine berührende Inszenierung einer Liebesbeziehung  besonderer Art zwischen Adam (Hugh Dancy), einem Spielzeugtechniker und Beth (Rose Byrne), einer aufstrebenden Kinderbuchschriftstellerin. Auf eine nicht pathologisierende Weise zeigt der Regisseur die Unfähigkeit des Titelprotagonisten zur Empathie und zeichnet einfühlsam sein Anderssein. Der Film ist eine mit Liebe erzählte Geschichte eines Außenseiters, dessen Eigenart sympathisch und anziehend wirkt.
Die Handlung fängt mit einem Bezug zu Kleinem Prinz an, was den Film von Anfang an liebenswert macht. Wie dieser Junge vom fremden Planeten mutet eben Adam an. Er lebt gerne in seiner Innenwelt und beobachtet regelmäßig den nächtlichen Sternenhimmel. Adam leidet unter Asperger Syndrom, einer leichten Form von Autismus. Diese unangenehme Tatsache enthüllt er Beth, um ihr seine fehlende soziale Kompetenz zu erklären. Die junge Frau fühlt sich zu dem Sonderling magisch angezogen und die beiden fangen eine Beziehung an, die von großer Zärtlichkeit und Zerbrechlichkeit charakterisiert ist. Beth glaubt an die Fähigkeit Adams durch Anstrengung „normaler“ zu werden und gesellschaftliche Konventionen zu beherrschen. Doch ihre Beziehung muss eine Feuerprobe durchstehen. Beth macht sich einer geringfügigen Lüge schuldig und gefährdet das schon schwache Band, das die beiden verbindet.
Der Film zeigt einen zwar in der Realität verankerten Autisten, der aber mit seiner Unangepasstheit kämpfen muss. Seine Rolle meistert Hugh Dancy perfekt und zeigt dem Zuschauer, wie befremdlich das Vermeiden des Augenkontaktes sein kann. Die Rolle von Beth verblasst ein wenig angesichts der Performance von Dancy, die eigentlich den Hauptwert des Filmes ausmacht. Man konnte aus der Geschichte auf jeden Fall mehr Tiefgang rausholen. Das Ende ist nicht so kitschig, wie die musikalische Untermalung sich zuweilen gestaltet, sondern schön und in seiner Einfachheit auch tragisch. In manchen Sachen wird Adam eben immer ein Kind bleiben.
Ein  unkonventionelles Porträt eines Autisten, der einen einnimmt und zutiefst berührt.

Adam/ Regie: Max Mayer/ 2009

Sonntag, 20. November 2011

Intensivpflege von innen


Alle Arztserienliebhaber aufhorchen! Das Buch von Karin Grunwald wirft einen ernüchternden Blick hinter die Kulissen des Gesundheitsbetriebes und bleibt dabei lachlustig.
 Der Alltag auf der Intensivstation hat nichts mit der kolorierten Fiktion der Krankenhausserie zu tun. Da geht es knallhart zu. Unbarmherziger Schichtdienst, aufgeblasene Chefärzte, verzweifelte Patienten, Multiorganversagen, Sepsis- das sind nur wenige der Stichworte, die das Berufsprofil  und Arbeitsumstände einer Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege umreißen. Der Leser erfährt, dass Intensivpflege eigentlich Akkordarbeit ist und dass „elastisches Gewissen“ durchaus Vorteile bringen kann. Manchmal ist die Arbeit purer Horror, manchmal ist die Dankbarkeit der Patienten wohltuend und rührend. Grunwald schildert schonungslos das kränkelnde Gesundheitssystem, in dem sie nur dank einer ordentlichen Portion schwarzen Humors zurechtkommt und den Mut nicht verliert. Sie lässt keine bestürzenden Einzelheiten weg und schildert drastische Details der täglichen Pflege, die sehr unappetitlich sein können. Sie zeichnet die Realität ihres Arbeitstages, die nichts mit der Heimeligkeit zu tun hat. Der Tod und Zerfall lauern überall und am Pflegepersonal liegt es den Kampf gegen die Zeit zu gewinnen. Sie erzählt fesselnd und intelligent. Satirisch legt sie die Missstände des Systems bloß. Ihr Buch wird vielleicht den Berufseinstieg manch einer angehenden Krankenschwester verhindern, bei den anderen wird es nur ungläubiges Kopfschütteln, Schock und unterdrücktes Lachen hervorrufen.
Eine erstklassige Schilderung einer Insiderin, die mit saftigen Formulierungen nicht spart. Eine Dekonstruktion des Traumberufes „Krankenschwester“.

Katrin Grunwald/ Schwester! Mein Leben mit der Intensivstation/ Rowohlt Verlag/ 2011/ 8,99 

Samstag, 19. November 2011

Dinge plaudern aus dem Nähkästchen

Den vermessenen Anspruch seines Büchleins formuliert der Author so: „Ich hoffe zumindest, das Rätsel der Dinge neu zu formulieren.“ Er irrt sich auf der ganzen Linie.
Seine Texte reflektieren die unscheinbarsten und ahistorischen Gegenstände, wie zum Beispiel Bett, Tisch, Schüssel. Es sind fünfzig kurze Essays, die das Wesen  der Dinge im Plauderton erschließen wollen. Es fehlen im Buch nicht die Erfindungen der modernen Zeit, wie zum Beispiel das Handy, „Ding der schlimmsten Art“. Man fragt sich, was derartige Gegenstände bei der phänomenologischen Analyse zu suchen haben, doch der Autor betrachtet sie kulturkritisch und gewährt ihnen einen Platz neben Reflektionen über Gefriertruhe, Teekanne und Gabel. Unter seine Meditationen ist manch eine witzige Bemerkung gesät, die für einige überflüssige Längen entschädigt. Droit stellt fest, dass die Demarkationslinie zwischen Dingen und Menschen in Gegenständen wie zum Beispiel Prothese verschwimmt. Er schreibt pointenreich über die handfeste Funktionalität der Dinge im abstrakten Sinne (Wasserwaagen für moralische Handlungen ) und phantasiert über das Speichern des gesamten Universum auf einer CD. Der Autor hat mit seinem schmalen Bändchen einen großen Erfolg in Frankreich gefeiert, weil er sich in die Tradition der großen Philosophen einreihen wollte, doch er schafft das in Deutschland doch nicht. Sein undiszipliniertes, erzählendes  „Ich“ ist aufdringlich und berichtet von seinen uninteressanten Vorlieben. 
Roger-Pol Droit hat mal  zugegeben intime Tagebücher zu hassen, doch nach Fertigstellung seines Buches sollte ihm bewusst werden, dass es schwierig ist über die Dinge zu sprechen, ohne von sich selbst etwas preiszugeben.
Die folgende knappe Erkenntis des Buches erspart dem Leser das überflüssige sich über zweihundert Seiten ziehende Geschwätz des Autors: „An ihnen ist es, die Dinge zu lieben wie sich selbst“. Erfinden Sie die Dinge täglich neu. Aber selbst - ohne derartige Bücher.

Roger-Pol Droit/ Was Sachen mit uns machen. Philosophische Erfahrungen mit Alltagsdingen/ Heyne Verlag/ 2006/ 7,95